Spätneolithische Kupferaxt von Reiffenhausen

2001 wurde im Rahmen systematischer Geländeprospektionen als Vorlauf der archäologischen Baustellenbetreuung des Neubaus der Autobahn A 38 von Göttingen (Niedersachsen) nach Halle (Sachsen-Anhalt) eine spätneolithische Schaftlochaxt mit Stielfragment aus Arsenkupfer geborgen. Fundplatz ist ein Ackergelände auf dem Uhlenkopf, einem isoliert bis 337 m über NN aufragenden kleinen Muschelkalkrücken auf der Berglandhochfläche am östlichen Rande des Leinetalgrabens bei Reiffenhausen in der Gemeinde Friedland ca. 13 km südlich von Göttingen.

Es handelt sich um eine Schaftlochaxt mit herabgezogener konvexer Schneide und knaufhammerförmig verdicktem Nacken; Gesamtlänge 14,0 cm, maximale Höhe der Schneide 4,4 cm, Dm des ovalen Nackenknaufs von 2,7 bis 3,1 cm. Am nackenständig angebrachten Schaftloch ist eine geringe Verdickung vorhanden. Im zylindrischen Loch steckt das 3,8 cm lange Endstück des Stiels von 1,3 cm Dm. Das separat gefundene, leicht angeknickte Stielfragment ist 8,5 cm lang, weist einen Dm von 1,2 - 1,3 cm auf und zeigt alte, patinierte Bruchenden; diese passen nicht direkt an das Bruchende an der Axt an. Heutiges Gewicht der Axt mit Stielrest: 458 g, Gewicht des Stielfragmentes: 53 g. Axtkörper und Stiel sind jeweils massiv als Vollformen gegossen, offensichtlich in zweischaligem Guss, eine Gussnaht ist nicht erkennbar.
Kupferaxt aus Reiffenhausen
Kupferaxt aus Reiffenhausen

Axt und Stiel sind aus polymetallischem Kupfer mit hohem Arsengehalt (Arsenkupfer/Arsenbronze) gegossen. Die geochemischen Metallanalysen (Röntgenfluoreszenzanalyse und ICP), die Bleiisotopenbestimmung sowie die metallografischen Untersuchungen erlauben Annahmen zur Herkunft des Metalls. Der verhältnismäßig hohe Arsenanteil wird nicht als intentionelle Legierung, sondern als lagerstättenbedingte Erzbeimischung aufgefasst. Derartige Lagerstätten sind offenkundig bevorzugt gesucht und ausgebeutet worden. Wie die zahlreichen Arsenkupferartefakte des gesamten europäischen und nahöstlichen Spät-/Endneolithikums zeigen, ist dies kein Zufall, sondern für die kupferzeitliche Phase vor Aufkommen der Zinnbronze kennzeichnend. Arsen verbessert die Gusseigenschaft und -fähigkeit, senkt gegenüber dem reinen Kupfer den Schmelzpunkt, der Guss wird dichter und die Form besser ausgefüllt, dem Kupfer wird Sauerstoff entzogen und dadurch poröser Guss vermieden, das Produkt besitzt eine hohe Härte - vergleichbar der Zinnbronze - und erscheint goldglänzender, was den Statuswert sicher erhöht hat.

Anhand der chemischen Metallanalyse ist eine Ähnlichkeit überwiegend mit Fundstücken des südosteuropäisch-anatolisch-pontischen Raumes festzustellen. Die größten Übereinstimmungen bei Anteilen und Verteilung der Elementkombination ergeben sich demnach mit Arsenkupferfundstücken aus chalkolithischen Zusammenhängen des 4. bis 3. Jahrtausends v. Chr. im östlichen Mittelmeergebiet, vor allem aus Fundstellen des troianischen Kulturkreises (Poliochni, Thermi), aber auch aus Südostanatolien (Mersin) und dem angrenzenden Iran (Tepe Hissar). Zur Herkunft des Metalls, d. h. zur Frage nach einer möglichen Erzlagerstättenregion, ist damit aber noch keine definitive Aussage zu treffen, bestehen doch bei den genannten Fundgebieten und ihren Kupferartefakten diese Unklarheiten selbst; letztlich kommen hier die Gebiete vom Karpatenraum bis zum Kaukasus und Ostiran in Betracht.

Typologische Erwägungen zur Axtform und der Erzlagerstättenbezug führen zu der Annahme, dass das Rohmetall der Reiffenhäuser Axt zwar aus dem südöstlichen Europa bis Schwarzmeergebiet und Kaukasus bezogen wurde, die Axt als Produkt aber aus dem nähergelegenen südosteuropäischen Karpaten- und Donaugebiet, wenn nicht sogar dem mitteleuropäischen Raum stammt, hergestellt vermutlich im Zeitraum vom späten 4. bis zur Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends. Für den ersten Distanzschritt von der Lagerstätte hin zum metallverarbeitenden Produktionsgebiet, eventuell ins Karpatenbecken im Milieu der späten Tiszapolgár-Kultur und Bodrogkeresztúr-Kultur bzw. der mittleren bis späten Kupferzeit und Frühbronzezeit, wäre qualitativ ein Handel mit Metall - in Barrenform - erforderlich. Der zweite Schritt, die Vermittlung des Fertigproduktes vom Herstellungszentrum zum Abnehmer, belässt vielgestaltigere Möglichkeiten vom regulären eindimensionalen Handelsaustausch bis zur langsamen, sukzessiven ungezielten Distribution über Regionen und längere Zeiträume, beispielsweise in Form kleiner, lokaler Austauschstationen von Markt zu Markt, über Mobilitäten der Besitzer (Personen, Ethnien: Wanderung, Krieg/Beute, Heirat, Erbschaft usw.), Geschenke oder über komplexe Reziprozitätssysteme.

Fundstelle der Kupferaxt
Fundstelle der Kupferaxt
Der Fundplatz der als Oberflächenfund geborgenen Axt ist in seiner herausragenden topografischen Hochlage im Schnittbereich zwischen Südharzgebiet und Leine-Werrabergland auffällig und legt für das nicht alltägliche Stück den Charakter eines Depotfundes nahe. Die archäologische Prospektion des Umfeldes ergab erste neolithische Beifunde sowie eine Gruppe von angrenzenden Höhensiedlungsplätzen jung- bis endneolithischer Zeitstellung.

Publikation im Archäologischen Korrespondenzblatt (2004): 

Klaus Grote, Die spätneolithische Kupferaxt von Reiffenhausen (Südniedersachsen) 

Andreas Kronz, Ernst Pernicka und Klaus Simon, Naturwissenschaftliche Untersuchungen der spätneolithischen Kupferaxt von Reiffenhausen